Luxusproblem – Zwischen Entscheidungsfreiheit und Klassenblindheit

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Der Song "Wer die Wahl hat, hat die Qual" nimmt sich das Dilemma der Entscheidungsfindung vor – und macht daraus eine ironisch-jazzige Nummer über Menschen, die an der Fülle der Möglichkeiten verzweifeln. Die Wahl zwischen Körnerbrot und Laugenstange, zwischen Döner mit oder ohne Schafskäse, wird hier zur Quelle existenziellen Haderns. Doch hinter dieser augenzwinkernden Alltagsbeobachtung lauert eine problematische Perspektive: die Abwertung von Unentschlossenheit als bloße Wohlstandsneurose.

Denn worüber sprechen wir hier eigentlich? Über die Zumutungen des Konsumkapitalismus, der jede noch so banale Entscheidung in eine Identitätsfrage verwandelt? Oder über eine feine Linie zwischen individueller Entscheidungsfreiheit und strukturellen Zwängen? Die Pointe "Wählen können ist ein Luxusproblem" suggeriert, dass Entscheidungsfreiheit ein Privileg ist – aber genau da liegt der blinde Fleck des Textes. Wahlfreiheit existiert eben nicht für alle in gleichem Maße. Wer genug Geld hat, kann sich durch Optionen wühlen; wer wenig hat, kann sich das Überlegen oft gar nicht leisten.

Noch problematischer wird es, wenn die genervten Blicke der "Bäckereifachfrau" und des "Dönermanns" ins Spiel kommen. Die Verkäuferinnen im Song erscheinen als genervte Dienstleisterinnen, die kaum verbergen können, wie sehr ihnen diese unschlüssigen Kundinnen und Kunden auf die Nerven gehen. Doch was sagt das über Machtverhältnisse? Wer kann es sich leisten, zu zögern – und wer muss die Ungeduld der Wartenden und den Druck der nächsten Bestellung aushalten? Der Dönerverkäufer, der dem Zaudernden vorhält, ein "Luxusproblem" zu haben, steht hier als Stimme des Realismus – doch ist es wirklich seine Aufgabe, über die Legitimierung von Entscheidungsnot zu richten? Oder ist sein Seufzen nicht vielmehr Ausdruck eines Systems, in dem Zeit Geld ist und Geduld eine knappe Ressource?

Letztlich bleibt der Song an der Oberfläche der Thematik. Dass die Entscheidungsangst ein gesellschaftlich produziertes Phänomen ist, das nicht nur Wohlstand, sondern auch Unsicherheit und Überforderung reflektiert, bleibt unkommentiert. So bleibt "Wer die Wahl hat, hat die Qual" in der gemütlichen Beobachtung stecken, ohne die tiefere Widersprüchlichkeit der Entscheidungsfreiheit offenzulegen. Ein charmanter Song – aber ein bisschen mehr Klassenbewusstsein hätte ihm gutgetan.

Rezension: Frederike Theuerbier

Wer die Wahl hat hat die Qual auf spiellieder.de.

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Text:

Wer die Wahl hat, hat die Qual
denn wer die Wahl hat muss sich entscheiden
Manchen fällt das leicht doch manche können das so überhaupt nicht leiden.

Wenn man beim Bäcker vor den Brotsorten steht
und die Bäckereifachfrau dezent die Augen verdreht.
Doch nichts drängt sich so richtig auf
und die Entscheidung nimmt nur langsam ihren Lauf

Wenn man beim Dönermann vor der Speisetafel steht
und der Dönermann seufzt und schon leicht die Augen verdreht
'Ich wollt doch so gern mal was and'res nehm'n!'
'Ey Chef du hast ein Luxusproblem!'

Wenn du die Wahl hast aber davon überhaupt nichts wählen magst
und dich nur nach dem kleineren Über fragst
Entscheiden musst du dich trotzdem
denn Wählen können ist ein Luxusproblem

©2021 Detlef Cordes.

ISWC: T-306.581.827-7

GEMA Werknummer: 28874808-001

ISRC dieser Aufnahme: QZK6F2123094

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